Mittwoch, 13. September 2017

Die Nudeln

- Ich konnte schon immer gut schreiben. Und dann wurde ich glücklich. - 

Heute habe ich mir Essen gekocht. Ich war alleine zuhause und habe mir die morgens selbst eingekauften Spinatnudeln mit dem selbst eingekauften grünen Spargel in Töpfe gelegt, die die passende Größe haben, und ich habe das Wasser erhitzt und das Salz nicht vergessen und wusste, wo die Küchenkelle ist. Und dann habe ich die Teller in die von mir ausgeräumte Geschirrspülmaschine gestellt und habe mir gedacht, hm, noch eine Stunde wach bleiben und dann gemütlich um 22 Uhr einschlafen. Und dann, dann hab' ich mich aufs Sofa gesetzt und den Laptop aufgeschlagen und mich erinnert, ich habe mich erinnert, dass ich ja mal wieder was schreiben könnte, also öffnete ich ein leeres Dokument. Und ich hab es geöffnet und jetzt sitze ich hier und schreibe euch, wie ich so wunderbar selbstständig und unabhängig einen Haushalt führen kann. Und fühle mich stolz, ja, dass ich schon so erwachsen bin. Und dabei ist mir unbemerkt das Wichtigste abhanden gekommen.
Denn so sitze ich hier Abend für Abend vor einem leeren Dokument und die weiße, öde Fläche lacht mich aus, sie kritisiert mich, sie verabscheut das neue Ich, denn das neue Ich hat keine Ideen. Es kann nicht abstrahieren. Es sieht keine wandernden Regentropfen, keine suchenden Wolken und es findet keinen roten Faden. Denn das wichtigste ist mir unbemerkt abhanden gekommen.
Es ist wohl dazwischengerutscht, zwischen die dreckigen Gabeln und Löffel, oder vielleicht ist es ins Abwaschwasser gesprungen und verkocht, denn man wäscht Geschirr nur mit heißem Wasser, sonst sterben die Bakterien nicht ab, aber es war kein Bakterium, es war die Fantasie in mir.
Es war die Fantasie, die mir geblieben ist aus einer verträumten Kindheit, und jetzt kann ich sie nirgends finden, in mir, und auch nicht ringsherum. Ich funktioniere, ja, ich funktioniere reibungslos.
Ich hab' alles im Griff. Ich habe Erfolg, ich habe Erfolg, weil ich mich jetzt anstrengen kann. Weil ich nicht mehr traurig bin und mich nicht mehr hasse. Denn ich hab mich jetzt auch selbst lieb. Das hab' ich alles geschafft. Alles ist rund. Wirklich alles. Aber schreiben, das tue ich nicht mehr. Denn worüber auch? Die dunkle Wolke hat immer so mysteriöse, wunderschöne Metaphern auf mich herabregnen lassen. Aber aus 'nem Sonnenstrahl lässt sich nicht mal ein Kreuzreim formen. Ein geordneter Tagesablauf lässt keine Zeit für wilde Abenteuer, nicht mal im Kopf, denn auch mein Kopf ist ruhig wie ein kleiner See am Sonntagabend. Und dann kommt der Sturm.
Immer dann, wenn ich meinen Kulli in meiner Tasche nicht finden kann und am liebsten sofort alle Bücher quer durch's Zimmer schmeißen, alle Hefter zerreißen und alle blöden Flow Charts verbrennen möchte, wie aus einem Impuls heraus, der aus der natürlichsten Urgestalt meines Körpers kommt, immer dann weiß ich, dass es mal wieder zu viel war. Denn so sehr ich funktionieren möchte, kann ich es nicht lange. Dann schweife ich ab. Ich setze mich auf mein sauber gemachtes Bett und lasse die kalten Füße auf dem Flauscheteppich hin- und herreiben und blicke ausdruckslos hinaus, wo die Blätter sich im Wind drehen und tanzen, wo andere Menschen ihre Hunde spazieren führen oder mit ihren Liebsten Hand in Hand durch den Herbst wandeln, und ich sitze da und schaue hinaus, wie eine Statue, eine Skulptur, um die die Museumsbesucher nachdenklich herumstolzieren mit ihren Flyern und die Absätze der Heels klingen in einem Echo nach, in der Weite der Museumshalle.
Und so schweife ich ab, einfach fliegen lasse ich mich, denn am Boden finde ich keine Nährstoffe. Wie ein Delfin, der an die Wasseroberfläche muss, um Sauerstoff zu atmen, so bin ich abhängig von meiner eigenen Freiheit. Ich muss einfach wissen, dass ich auch einfach mal sein kann, einfach mal alles baumeln lassen kann, um nichts in Brand zu setzen. So gerne ich auch funktionieren möchte, auf lange Zeit ist es wie eine Box ohne Luftlöcher, in der ich immer panisch werdender an die Wände klopfe und am Ende schreiend und weinend hinausplatze wie aus einem Albtraum.
Ich brauche mehr Zeit, das ist mir schon vor Jahren aufgefallen, aber erst jetzt akzeptiere ich diese Eigenheit. Ich brauche mehr Zeit, zum Atmen und Veratmen der Erinnerungen und Erlebnisse, bevor sie mir in den Ohren schwirren wie eine Million Ohrwürmer von Songs, die man verabscheut;
ich konnte schon immer gut schreiben. Und dann habe ich begonnen, mich anzupassen. 

Heute habe ich mir Ravioli aus der Dose gemacht. Ich war alleine zuhause und habe den Dosendeckel abgeleckt, ich habe eine alte Schale kurz abgespült und die dreckige Dose auf der krümeligen Theke stehengelassen. Ich bin barfuß wieder unter die warme Bettdecke getapst, über Klamotten, über Gläser und über Bücher, das dampfende Industriefutter in der Hand, und ich träumte von Weltreisen und Hochzeiten und ich dachte mir gar nichts, denn ich war dabei, mich auszuleeren, wie ein voller USB Stick, und ich war glücklich.



Mittwoch, 30. August 2017

das falsche schiff

Wer bin ich, wenn nicht so.
Wer soll ich sein, wenn nicht dieser Mensch.
Was soll ich werden, wenn nicht das.
Zwei offene Hände und ein ratloses Herz.
So stehe ich vor dem Spiegel, manchmal, wenn es spät ist und ich wieder mal nicht wusste, worüber ich schreiben kann.

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Ich beschalle mich neuerdings des Öfteren mit der neumodischen, heruntergewaschenen, oberflächlich aufgekratzten Chillhousetrap-Chainsmoker-Halsey-Hypnose, die auf spotify und YouTube vor sich hin plärrt.
Völlig bodenlos, inhaltslos, tiefenlos, so schweben diese scheinheiligen, intervallslosen Melodien in pastellrosa Wolken und ich schwebe ihnen hinterher, genauso inhaltslos und unaufhaltsam.
Und ich glaube so langsam, es ist eine Art des Lebens, diese Musik, diese Chillhouse-Hipstersounds, und sie führt mich in eine tiefe Krise, ganz ohne Tiefe.
Ich suche nach einem Kick, nach einem Hoch ohne das Tief. Oder vielleicht ein Tief im Hoch, oder ein Hoch im Tief, wenn ich denn wüsste, wo auf der Skala ich mich mit meinen benommenen Sinnen befinde.
Wie ein ausgewrungener Waschlappen hänge ich über der Bettkante um Elf Uhr dreiundvierzig, und dabei ist es egal, ob es draußen hell ist oder dunkel, ich fühle mich irgendwie verloren. Am falschen Ort zur falschen Zeit. Oder am richtigen Ort zur richtigen Zeit, aber trotzdem keine Ahnung.
Ich weiß, die Sterne gibt es immer, doch ich hab mich entschieden, darüber nicht zu träumen.
Stattdessen fließe ich vor mich hin im endlos rhythmischen Elektrotakt, der mir verspricht, alles wird gut, sowieso. Ich möchte eigentlich nur noch auf dem Teppich liegen und über Wolkenformen philosophieren, einatmen und ausatmen und einen Fick geben auf die Welt und ihre Laberein. Ich streite mich mit einem anderen Selbst, das gegen das ursprüngliche rebelliert.
Ich vs Ich.
Doch eigentlich bin ich doch mein eigener Boss, eigentlich bin ich doch badass, diszipliniert und habe die Dinge im Griff.
Habe diese Rebellion im Griff, habe sie brav erstickt, doch sie kommt immer mal wieder hervor und dann möchte ich am liebsten sofort in Substanzen ertrinken, bevor ich mich bloß mit ihr auseinandersetzen muss. Und wenn diese wilde Anna mir vor Augen erscheint, droht mein sicheres Gerüst zu bröckeln. Ich drohe wieder, zu fallen, und Gott verzeih mir nicht, ich möchte stark sein. Aber was bedeutet es? Was bedeutet alles?
Mir entfällt jegliche Erklärung für die Welt. Sie zerfließt und entrinnt mir in der Hand wie fein zermahlener Sand. Und ich halte es für in Ordnung, diesen Fakt im Schlaf zu vergessen.
Wer bin ich tatsächlich?
Was tue ich hier?
Möchte so gerne frei sein. Möchte so gerne den Tag damit verbringen, zu fühlen. Die Welt verstehen, die mich umgibt. Was gibt es alles, was ich nicht weiß.
Nichts davon kann die Schule mir jemals beibringen.
Möchte so gerne frei sein. Lieben im Sand von Kalifornien, weinen im Schnee von Montreal.
Doch lieber vergesse ich die Erde und lebe in meinem Dorf.
Denn hier ist alles einfach, trist, ja hier ist alles simpel.
Hier ist alles gleich.
Versuche liderlich, mich zu betäuben. Begebe mich in die Texte meines Geschichtsbuch, die Mathematikformeln, setze mir Ziele, von denen ich vermute, sie zu erreichen, wäre von Vorteil. Aber was geben mir 14 Punkte im Kunst Leistungskurs, wenn ich die wahre Kunst, die die Natur uns zeigt, nicht im Herzen trage? Was bringen mir 13 Punkte in Mathe, oder 12 in Geschichte, was bringen mir 8 Punkte in Biologie, wenn mein Kopf immernoch falsch herum auf meinem Hals sitzt? Wenn mein Herz immernoch von Pflastern zusammengehalten wird, weil ich nicht zurückgehen konnte, um die letzten Puzzlestücke aus Australien aufzusammeln?
Wie konnte ich diesen Sandsturm in meinem Herzen einfach stilllegen? Es sollte der Sturm sein, der mich dorthin bringt, wo ich doch hingehöre. Oder ist es noch nicht Zeit? Warum zieht es mich hinaus in die Ferne, wo ich doch weiß, dass ich hier sicher bin? Dass ich hier studieren kann, hier ein Netz habe, und Routinen, und eine Versicherung?
Wie ein ausgewrungener Waschlappen hänge ich über der Bettkante um Elf Uhr dreiundvierzig, und dabei ist es egal, ob es draußen hell ist oder dunkel, ich fühle mich irgendwie verloren.
Ich möchte doch bloß ein Leben führen, über das ich am Abend schreiben kann.


Mittwoch, 8. Februar 2017

ein ganz normaler Mittwoch

Leere, Fülle, mein Kopf, ein Kopf, dreiundvierzig Papiere in dieser Mappe, zweiundfünfzig in der anderen, zu wenig Zahlen auf der Uhr. Ich wünschte mir, ich könnte die Welt kurz anhalten, um einmal richtig zu weinen. Alles dreht sich, ich drehe mich im Kreis um mich selbst dreiundvierzig Mal, und dann zweiundfünfzig Mal in die andere Richtung, und versinke im Moor meines Gedächtnisses. Listen über Listen und sie begraben mich, erdrücken meine Lungen, wickeln sich um meinen Hals wie eine giftige Schlange und zerquetschen mich.
Mein Terminplaner kotzt mich an, ich würde zurückkotzen, hätte ich denn die Zeit dafür.
Kopf heben, Arm heben, Mund öffnen, Mund schließen, lächeln, seufzen, Treppen runter, belanglose Dinge besprechen, Treppen rauf, von ungeschriebenen Romanen träumen, Sätze von der Tafel schreiben, Hefter in die Tasche quetschen, raus in die Kälte, die einem den Rücken hinunterkratzt, aufs Laufband fünf Kilometer rennen, nach Hause fahren, am Schreibtisch vor meinen Listen wegrennen, sie versuchen, zu bekämpfen, während der Kaffee kalt wird, den ich mir voller Stolz beim Umziehen und Abwaschen selbst gekocht habe.
Leere, Fülle, mein Kopf, ein Kopf, der mir nicht mehr gehört.
Ein fremder Kopf, der sich aufgehängt hat. Der verklumpt ist, dessen Arterien verkrustet und dessen Zellen verschleimt, ein Kopf, der vertrocknet ist, und jetzt nicht mehr unter Strom zu stellen ist.
Nur die Funken tun mir weh, doch ich habe keine Zeit, diesen Kopf zu reparieren, denn da liegt eine Liste, die mich bedroht, die ihn bedroht.
Kopfschmerzen klopfen an die Stirn, rechte Taille schmerzt, als hätte jemand ein Messer hinein gerammt, wobei das auch noch toll wäre, denn im Krankenhaus würde man sich vielleicht auch mal meinen rauchenden Kopf anschauen, will mich aber nicht beschweren, denn sonst nimmt man mich nicht mehr ernst, wenn mal wirklich etwas ist, und die Gedanken laufen Marathon im dunklen Wald, dort, wo es Geister gibt, vor denen die Kinder Angst haben, und ich soll mich auf Sichelzellanämie konzentrieren.
Leere, Fülle, mein Kopf, ein Kopf, und die Uhr bleibt auch nach dem siebenundzwanzigsten Blick nicht stehen, und ich seufzte, und ich schlucke, und ich gebe mein Bestes und hefte das vierundvierzigste Blatt Papier ab.

Donnerstag, 5. Januar 2017

Zustandsbericht


Ein neues Jahr hat begonnen und ich habe das Gefühl, als würde ich in den ersten dreißig Minuten eines Filmes stecken: die Personen wurden vorgestellt, die ersten Dialoge haben erste Charakteristiken und Konflikte dargelegt, der Protagonist ist dabei, die Handlung für den Film zu entpacken und langsam ist der rote Faden erkennbar, der Zuschauer ist gepackt, neugierig, gespannt.
Aber ich bin gleichzeitig der Zuschauer und der Protagonist.
Und da liegt der Konflikt dieses Filmes, den ich schaue, der mein Leben ist.

Das letzte Jahr war ein Sieb.
Es hat mich geschüttelt und ausgequetscht, bis all das Hässliche, das Schreckliche, das Depressive und das Schwache im Ausguss verschwand. Im Sieb blieb ein Selbst, das liebt und glaubt.
Und dann war meine Welt für einen kleinen Augenblick rosa und rot.

Doch jetzt hat ein neues Jahr begonnen und ich habe das Gefühl, wichtige Entscheidungen treffen zu müssen.
Irgendwas zu tun, denn es ist 2017 und ich bin 18 und das sind alles Zahlen, die dicke Ausrufezeichen hinter meine Träume setzen.
Kaum habe ich die Farben gefunden, die zu mir passen, schon muss ich mir mein Leben malen, und zwar plastisch und schattiert, denn ich mache keine halben Sachen.
Das Bett, in dem ich liege, ist 1,40m breit.
Und ich denke an Weltreisen.
Ich lese von Ungerechtigkeiten, von Terroristenanschlägen, von Flucht und Krieg, von Korruption und Tierpest, und jedes Wort nagelt sich in meinen Kopf.
Wohin mit all dem Leid?
Das hat sich Buddha auch gefragt.
Aber soll ich jetzt Buddhist werden? Oder soll ich die Welt retten? Soll ich Schlips tragen und in die Politik gehen? Oder soll ich mir Blumen aufs Auto sprayen und Decken an Obdachlose verteilen?
Soll ich morgens um sechs Yoga machen oder abends um zehn Bücher schreiben?
Was soll dieser Mensch tun, der in mir wohnt, wofür ist er gut in dieser Welt?
Soll ich mich für die Tiere engagieren oder für die Menschen? Für die Kranken oder für die Armen? Für die, die sich physisch im Krieg befinden oder die, die sich psychisch im Krieg befinden?
In mir hausen Sorgen, so viele Gedanken, was ich mit meiner Zeit anfangen kann.
Und die Gedanken, die irgendwann obdachlos sind, die gieße ich in Tassen, bis sie voll sind, und stelle sie in meinen Schrank, bis er voll ist, und dann kaufe ich mir einen neuen Schrank von dem Geld, mit dem ich Kinder in Afrika retten könnte.
Das Bett, in dem ich liege, ist 1,40m breit.
Viele Menschen haben kein Bett.
Ein neues Jahr hat begonnen und ich habe das Gefühl, machtlos zu sein.
Machtlos trotz aller Macht.

Mein Herz wohnt überall, deshalb kann ich ihm nicht folgen.

Australien ist immer noch eine Sonne, die in mir scheint und mich mit Energie versorgt, damit ich eines Tages dorthin zurückkehren kann, an die Orte, an denen ich mit 15 Jahren in meinen hellsten und dunkelsten Momenten gelacht und geweint habe.
Ich sehne mich danach, mit diesem Kapitel abzuschließen, was ich am 20. Januar 2014 am Flughafen lassen musste.
Ich muss die Seiten aufsammeln, die in Perth verteilt sind, auf den Steinen der Brandung in Hillarys, oder auf dem Parkplatz in Joondalup, oder auf den Sesseln im Whitfords Shopping Center.
Geschichten, die ich neu erleben möchte, die ich neu erleben muss.
Mein Lebenslauf bisher ist nicht eine gerade Linie. Sie ist unterbrochen, verschwunden in Teilen, in die Irre führend - wären meine 18 Jahre ein Buch, dann wären die letzten drei Jahre zerfledderte Kapitel, ausgerissene Zeiten, schwarz ausgemalte Papiere und ausgewaschene Buchstaben.
Ich muss zurück, um die Seiten aufzusammeln und zusammenzuheften.
Es fehlen mir Gefühle, die ich nur dort fühlen kann, ich muss die letzten Risse heilen lassen, während ich in die untergehende Sonne schaue und meine Füße in den Sand grabe, genau wie damals, mit 15.
Seit einigen Wochen wandere ich in meinem Kopf oft zurück in den Süden und lasse mich treiben, und seit einigen Wochen überraschen mich Tränen, echte Tränen, wenn ich die Bilder an mir vorbeiziehen lasse.
Ich bin nicht traurig. Ich bin sehnsüchtig.
Nach Frieden vielleicht?
Nach einer Wiedervereinigung?
Gespart habe ich wie eine Verrückte das letzte Jahr und stecke schon in den nächsten Planungen für einen Wochenendjob, Sponsoren, Hunde ausführen, Opas Schuhe polieren, Nachbars Rasen mähen, Großcousine's Haus streichen, Schwippschwager's Kiosk leiten.
Doch es gibt immer einen Haken. Immer eine Grenze, und ich dachte für einen Moment, Australien wäre nur noch zwei Jahre entfernt.
Wenn es doch nur die Zeit wäre.
Ein neues Jahr hat begonnen und ich fühle mich müde.

Doch wäre ein Leben bloß Sand am Meer, so wäre ich trotzdem das glücklichste Sandkorn des Strandes.

Denn es sind immer Früchte im Haus, und Brot, und das Wasser aus dem Wasserhahn kann man trinken, ohne ins Krankenhaus zu müssen, und das einzige am Himmel sind Vögel und Passagierflugzeuge, die reisende Menschen zu ihren nächsten Zielen bringen, während sie die Wolken betrachten, als wären es lauter kleine, puffige, süße Sahnehäufchen auf einem großen Pudding.
Und ich werde aufgeweckt von einem Kuss auf die Stirn, gefolgt von einem Ich liebe dich.
An mich wird gedacht, wenn die Menschen schlafen gehen, die mich lieb haben.
Ich rufe an und werde angerufen in Zeiten von Trauer und Ratlosigkeit.
Das alles ist nicht selbstverständlich.
Mein Haar darf ich offen tragen, gelockt oder geglättet, braun, rot oder violett, und ich darf sowohl einen Pullover als auch ein ärmelloses Shirt tragen, und ich darf zur Schule gehen, sogar fahren mit dem Auto, auf Straßen, die gerade erst neu gepflastert sind von der Gemeinde, die sich um Integration kümmert und um gerechte Lohnverteilung und um Altenpflege.
Das alles ist nicht selbstverständlich.
Ich möchte mich nicht in Wohlgefallen suhlen.
Vielleicht war es das Universum, das mich in diese Position gesetzt hat, damit ich etwas verändern kann - vielleicht war es purer Zufall - natürliche Fortpflanzung, Gott, Aliens - aber ich bin hier und ich bin dankbar.
Denn ein neues Jahr hat begonnen und ich bin am Leben.