Samstag, 21. Juni 2014

Es war einmal ein Mädchen...

…das träumte von der Welt. Von den Palmen am Strand und den Flüssen im Wald. Von den Walen im Meer und den Vögeln an Land.
Und sie träumte vom Reisen, vom entlausen Treiben durch die Kontinente, vom Entdecken und Erleben. Von einem Abenteuer. 
Und da entstand ein Traum. Und er war zunächst nur klein, ein unbedeutsamer Spross unter der Schneedecke. Aber er wuchs und wuchs.
Und viele Papiere, Unterschriften, Gespräche, Koffervollstopfungen und Abschiede später, war der Morgen gekommen.
Der 22. Januar. 
Rot angestrichen im Kalender. 
Ein etwas gequältes Lächeln
Die automatische Erinnerung meines Handys erinnert mich daran, für den Fall, dass ich vergessen haben sollte, dass ich heute nach Australien fliege. 
Es klingt selbst jetzt, 150 Tage später, noch unrealistisch. 
Denn alles begann wie ein normaler Morgen. Meine beste Freundin hatte an dem Tag bei mir übernachtet, sodass wir kaum wirklich Schlaf bekommen hatten. 
Alles war so normal, und doch so anders. Ein leerer Kleiderschrank. Ein leeres Bett. Ein leeres Zimmer. Eine letzte Umarmung mit den Katzen. Tür zu. Koffer ins Auto. Ein letzter Blick aufs Haus. Und weg. 
Die Autofahrt nach Hamburg hab ich so ziemlich verschlafen, und auch beim kleinen Frühstück im Flughafen war ich mental irgendwie abwesend. 
Ich weiß noch genau, wie ich in der Sicherheitskontrolle stand im Hamburger Flughafen, aufgeregt wie ein Pudel, als ich auf diese große Elternmenge schaute, die alle gute Miene spielten und sich hinter ihren winkenden Taschentüchern dann wohl doch die ein oder andere Träne wegwischen mussten. Mittendrin meine Eltern und meine Freundin.
Ein letzter Blick, ein letztes Lächeln, ein Daumen hoch.
Das Flugzeug, indem Träume wahr werden
Die letzte Erinnerung. Ich muss diesen Blick einsaugen und für ein Jahr festhalten. 
Und ich drehe mich um. Schaue nach vorne. Und ich weiß noch genau, was mir in dem Moment durch den Kopf gegangen ist. 
Das ist es. Mein Traum. Von jetzt an bin ich alleine. Dieses Jahr ist mein Abenteuer. 
Alles lief ab wie ein Traum. Ich musste mich immer wieder wach schütteln, und mich dreifach überzeugen, dass ich wirklich in Singapur bin. Dass ich wirklich Australien auf dem Flugzeugbildschirm sehe. 
Nicht mehr viel hätte gefehlt und ich wäre in dem Wildlife Park auf Ewig als 'die Verrückte, die ein Känguru schubst, weil sie nicht glauben kann, dass sie wirklich in Australien ist', in Erinnerung bleiben. 
Doch viel Zeit für philosophische Gedanken hatte ich dann doch nicht, bis das Flugzeug über der Skyline von Perth landete.
Auf der Fahrt zu meiner Gastfamilie habe ich nicht nur realisiert, wie sehr ich doch noch an meinem Englisch arbeiten muss, sondern war auch äußerst amüsiert von dem Gedanken, dass ich die Straßenschilder am Highway wieder erkenne, weil ich die Strecke schon so oft mit Google Street View durchgefahren bin. 
Schließlich fuhr das Auto auf die Auffahrt meiner Gastfamilie. Die Tür öffnete sich und meine Gastfamilie begrüßte mich herzlich. Die Menschen, die sechs Monate später für mich wie eine echte zweite Familie sind. 
Und eine Millisekunde später sind 150 Tage herum. 
Ein Wort, um diese 150 Tage zu beschreiben? 
Entwicklung. 
Alles hat sich entwickelt. 
Freundschaften, Vertrauen und Liebe. 
Zu Menschen hier in Australien.
Für alle Blindfische, das ist in Singapur
Und zu Menschen in Deutschland.
Aber am meisten entwickelt hat sich meine Wenigkeit. 
Ich habe als neugieriges, aber unwissendes 'kleines' Mädchen Fuß auf australischen Boden gesetzt. Wie ein kleines Rehkitz, das mit geschlossenen Augen auf eine Klippe zurennt. 
Aber ich bin nicht gefallen. 
In diesen 150 Tagen habe ich gelernt, über die Klippe zu springen. Und über die nächste. Und die nächste. 
Und ich bin bereit für 200 weitere Klippen. 


Ich habe viel gelernt, über Menschen, die Natur und das Leben. 
Ich weiß nun, dass du immer ein Handyladekabel dabei haben sollte. Und ein Handy natürlich. Und einen Regenschirm. Und dass Ugg Boots nicht immer so passend sind, wenn es draußen wie aus Eimern schüttet. Und dass Chucks nicht wesentlich besser sind. 
Und dass du dir deinen Pin-Code für die Bankkarten nicht irgendwo ins Handy notieren solltest, denn du könntest ihn ja verwechseln und deine Bankkarte sperren und vielen Menschen viel Arbeit machen, dir über 23 Länder und 2 Ozeane 'ne neue Bankkarte zu schicken. ('Tschuldigung Mama <3 )
Aber vorallem habe ich herausgefunden, wie man alleine ist. 
Das klingt vielleicht komisch für euch, weil ihr euch vielleicht denkt, alleine sein ist doch nicht so schwer, ihr sitzt ja jetzt auch alleine vorm Laptop in eurem Zimmer, pfft, kann doch jeder, was ist dabei.
Das dachte ich auch, aber es ist weitaus mehr. 
Denn ich meine so richtig alleine sein. Ohne Sicherheitsnetz, ohne Freunde. 
ein atemberaubender Moment..
Ich bin meine eigene beste Freundin geworden. Und das ist nicht traurig. Das ist wichtig. Denn wenn ich jetzt zurückschaue, hatte ich vorher keinerlei Beziehung zu mir selbst. Immer fokussiert auf andere, immer am Kommunizieren mit jemandem, immer irgendwie in Kontakt, unterwegs, am Telefonieren, texten, Facebook, Instagram, Tumblr, was weiß ich noch alles. Immer für andere da. 
Hier habe ich gelernt, für mich selbst da zu sein. 
Wer bin ich eigentlich ohne meine Freunde und Familie? Ich, allein, als Person? 
Die langen Strandspaziergänge haben sich besonders hier bezahlt gemacht. 
  Ich habe viel nachgedacht. Ich hab' mich überwunden. Mich meinen 'Ängsten' gestellt. Damit meine ich nicht das große Bild, dass ich ohne Mama und Papa nach Australien gekommen bin, ich meine die kleinen Dinge. 
Innere Stärke ist größer als du selbst
Ich meine, sich trauen, die fremde Target-Verkäuferin auszusprechen, wenn man wissen will, wo die Regenschirme sind. 
Ich meine, in großen Menschenmengen nicht panisch das Weite suchen. 
Ich meine, endlich die Dinge anfangen, die man schon immer machen wollte, denn jetzt ist verdammt nochmal die richtige Zeit dafür und wir sind jung und freier denn je.
Ich meine, fremde Leute anrufen. 
Ich meine, alleine neue Dinge beginnen ohne deine beste Freundin an deiner Seite.
Ich meine, ein Gespräch mit dem netten Mädchen in der Schule zu beginnen, was mich immer so lieb anlächelt. 
Wir sind heute gute Freunde. 
Ich meine die Dinge, zu denen man in Deutschland wohl nie durchgedrungen wäre, wenn man es nicht gemusst hätte. Und die Dinge, die wahrscheinlich keiner versteht, der nicht selber an einem Punkt in seinem Leben da mal durch gemusst hat. 
  Am Anfang des Jahres stand ich der Idee, alleine shoppen zu gehen, äußerst kritisch gegenüber. Aber ich hatte ja noch keine Freunde, und dann musste ich wohl oder übel. Und ich hab Zeit mit mir selbst verbracht. Und jetzt würde ich alleine shoppen vor allem bevorzugen (mit Ausnahme von meinen besten Freundinnen, keine Sorge Mädels ;)). 
Ich sitz' oft einfach im Sand am Strand, im Park auf dem Gras, auf den Felsen der Brandung in Hillarys Boat Harbor, abseits vom Trubel und beobachte die Welt. 
Nur irgendwo sitzen, vielleicht mit 'nem Frozen Yoghurt oder 'ner Cola, und über das Universum nachdenken, oder die Familie die ein bisschen weiter weg spaziert, und mich darüber wundern, wie viele Familien wohl heute ein Kind bekommen haben. 
Und wie viele Familien eins verloren haben. Oder was wohl gerade in New York passiert. 
Oder in Ghana. 
Und wie viele Leben heute dahingeschieden sind. Und wie viele davon zurück auf die Erde gekommen sind. 
Und was Liebe ist.
Und was ich alles noch machen möchte bevor ich sterbe.
Und was andere Menschen alles nicht machen können, bevor sie sterben. 
Und ob es einen Gott da oben gibt. 
Und ob Vampire und Meerjungfrauen vielleicht doch existieren. 
Und was passieren würde, wenn man herausfände, dass sie existieren.

Das konnte ich vorher nicht, und ich finde es wichtig, dass man so etwas kann, denn wie viele Freunde du auch hast, am Ende des Tages bist es immer nur du. 
Und egal, wo du bist und was dir passiert. Solange du dich selbst dabei hast, wirst du nie einsam sein.


Perfekt unperfekt
Und das ist es, was jeder immer meint mit diesem ganzen Selbstfindungsgedöns was ich vorher nie verstehen konnte. Ich war immer der Überzeugung, man kann doch nicht vergessen, wer man ist, es sei denn man hat Alzheimer oder Parkinson. Ich bin Anna, und ich mag Katzen, Kunst und hasse Senf, ich weiß, wer ich bin, wie kann ich mich noch mehr finden?! Und wie kann man sich überhaupt finden, such' ich unter Steinen und hinter Bäumen oder wat? 
Abgesehen davon, dass ich der Meinung bin, dass man sich nicht endgültig finden kann, weil man sich ständig verändert, Veränderung ist Leben. 
Aber es geht nicht darum. 
Du könntest deine beste Freundin oder Freund in fünf Sekunden bis auf deren kleinstes Detail beschreiben. Du weißt ihre Meinung zu Religion oder Abtreibung oder den Sinn von mathematischen Ableitung und deren Gebrauch im täglichen Leben (der nämlich nicht existiert, es gibt Taschenrechner nicht ohne Grund :P). Du kennst ihre Talente sowohl als auch ihre Schwächen. Aber weißt du all diese Dinge über dich selbst? Kannst du dich nur mit deinen Gedanken beschäftigen? 


Und das ist nur meine Auffassung von dem ganzen. Vielleicht stimmst du nicht zu, siehst es anders oder findest, dass ich aus 'ner Maus 'nen Elefanten mache. Aber dann war für mich das, was du als Maus siehst, der Elefant von vornherein. 

Ich hab' hier in Australien außerdem viele neue Hobbys entwickelt und damit meine ich nicht nur Tanzen oder Singen, was ich *endlich!!* in die eigene Hand genommen habe. Ich hab angefangen, zu schreiben und zu zeichnen, bin mehr Richtung Philosophie, Psychologie und Kunst unterwegs, wie ihr vielleicht in manchen meiner Posts schon ein bisschen raushören konntet. :D

Ich hab' gerade n bisschen den Faden verloren. 
Egal, haha :D Australien hat einen Platz in meinem Herzen gewonnen. 
Und all diese Erinnerungen kann mir niemand nehmen. Das sind meine eigenen 'weißt du noch' Momente, die niemand anders verstehen würde und die ich nur mit mir selbst teile. 
Und wenn ich nächstes Jahr wieder in Deutschland bin, und mich Leute fragen, ob ich denn Freundschaft geschlossen habe, dann sage ich ja, mit mir selbst, und sie wird ein Leben lang halten. 
Und wenn sie fragen, ob ich denn Heimweh gehabt habe, dann sage ich nein, denn ich hatte alles und jeden in meinem Herzen bei mir. 
Und wenn sie fragen, ob es denn schwierig war, dann sage ich ja. Und meine damit nicht das große Bild. Sondern all die kleinen Dinge, an die niemand denkt. Aber die mich täglich stärker gemacht haben. 
Und allein deshalb ist es das alles sowas von wert. 


♥ AMEN 


Danke an jeden, der mir in irgendeiner Form geholfen hat, diesen Traum zu verwirklichen. Es geht um so viel mehr als nur eine neue Sprache zu lernen und 'n bisschen Sightseeing. Danke, dass ihr mir Flügel gegeben habt. Und vertraut mir, ich werd' mit diesen Flügeln immer wieder zurückkommen. 



13 Kommentare:

  1. Ein so wundervoller Text, mir fehlen gerade echt die Worte.

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  2. Das hört sich ja sooooo gut an! Ich hoffe, dass mein Sohn ähnliche Erfahrungen machen wird... Vor allem auch mal Zeit nur mit sich selbst verbringen - das ist so wichtig. Allein sein, allein Entscheidungen zu treffen und Antworten zu finden, auf die Frage, was man vom Leben erwartet. Great!

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  3. Oh Gott ist das ein schöner Text und vorallem schöne Gedanken! Ich denke, dass du mich gerade beruhigt hast, denn ich will nach dem Abi für ein Jahr nach Australien, was jetzt schon seit 1 Jahr mein Traum ist... und auch wenn es zu 100% fest steht, dass ich das machen werde, hatte ich bisher immer Angst vor der Einsamkeit und vor den Problemen. Aber so wie du habe ich das noch nie gesehen.
    Danke!

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  4. fantastischer Text Anna, großes Kompliment!!

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  5. Einfach Hammer der Text!! Ich bin gerade ehrlich gesagt ziemlich sprachlos, richtig schön! Ich gehe ab August nach Mexiko und das machst mir gerade echt unwahrscheinlich viel Mut!!! Danke! :)

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  6. Chapeau !!!
    hillubald

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  7. Liebe Anna,

    ich beneide dich für deine tollen Erfahrungen, die du im Moment sammelst und mit uns teilst, ich würde das so gerne auch machen! Du hast einen wunderbaren Schreibstil, der Text ist wirklich fantastisch und man wird selbst fast sentimental:) Außerdem ist dein Blog so toll! Ich hoffe du machst weiter so und wünsche dir noch ganz ganz viel Spaß in Australien!

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  8. Heii, ich habe gerade gesehen das du den selben Koffer wie ich hast.:)) Ich wollte nur fragen ob bei dir alles so geklappt hat.:)

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  9. Hey :)
    Ich bin grade durch Zufall auf deinen Blog gestoßen, weil ich bald auch nach Australien fliege.
    Du hast den Text so wundervoll geschrieben und ich bin total beeindruckt von deinen Erfahrungen.
    Der Text ist wirklich wahnsinn!!!
    Liebe Grüße

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  10. hey :)
    ich bin heute zufälligerweise auf deinen blog gestoßen und habe mir alle einträge durchgelesen seit du in australien bist :D
    ich finde, du hast einen richtig angenehmen schreibstil; lusitg und ehrlich, und was ich toll finde, ist, dass du auch zukünftigen ats mut machst!
    ich war selber 3 monate in frankreich, und die erinnerungen hat man einfach fürs leben!
    ich werde weiterhin fleißig deinen blog verfolgen! :)
    dir noch viel spaß und weiterhin eine unvergessliche zeit! genieße es!
    liebe grüße! (auch wenn wir uns nicht kennen)
    Bente :)

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  11. Das ist eine feine feinen Blog. Ich liebte es. Ich war jetzt genau, wie die Suche nach langer, langer Zeit. Schließlich habe ich gelesen, was ich wollte. Ich bin so froh.

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  12. dieser Text ist einfach wunderschön ! War selbst letztes Jahr für 6 Monate in Australien und kann dem was du geschrieben hast nur zustimmen ! Wünsche dir noch ganz viel Spaß ! :))

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  13. Super schöne Text. Eine Freundin von mir ist auch gerade in Perth und ich werde sie demnächst besuchen kommen. Freue mich schon wahnsinnig und dein Blog hat mir meine Vorfreude noch mehr vergrößert :D

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