Sonntag, 7. Juni 2015

Ich bin wieder erwacht

Es ist nicht fair, einfach zu verschwinden, ohne ein Wort, ohne ein auf Wiedersehen.
Es ist nicht fair, diesen Blog mühsam und leidenschaftlich aufzubauen und ins Herz zu schließen und dann einfach so zu tun, als hätte es ihn nie gegeben. 
Und ich möchte mich all denen gegenüber entschuldigen, die seit Monaten auf diesen einen Blogpost warten, auf diesen einen Post, der alles abschließt. 

Aber ich schulde euch einen glorreichen Abschied, mit Konfetti, Champagner und Feuerwerk, denn ihr, im Gegensatz zu meiner Wenigkeit, seid diesem Blog meines Wissens stets treu geblieben. 

Sodenn, lasset die seidenen Vorhänge fallen, das hier ist mein Debüt. 
Der letzte Atemzug von Einmal um die halbe Welt
Mein Auslandsjahr ist vorbei. 
Dieses Kapitel meines Lebens ist zuende. 
Wir befinden uns auf der letzten Seite des Buches. 
Zeit für einen kleinen Rückblick.




Ich bin 363 Tage auf Abenteuerreise gewesen. 
Mein fünfzehntes Lebensjahr habe ich im Grunde genommen komplett im Ausland verbracht. 
Und es war kräftezehrend. Spannend. Aufrüttelnd. Überwältigend. Bewegend.
Doch ein Wort, dass das ganze Jahr zusammenfast, ist Entwicklung.
Ich hab' mein deutsches Nest verlassen, da konnte ich noch nicht fliegen. 
Der Flug von Hamburg nach München ist mein erster Flug gewesen, sowohl wortwörtlich als auch metaphorisch.
Ich war damals theoretisch noch ein Kind. Wusste noch nicht viel weder über mich noch den Rest der Welt. 
Ich bin in ein Abenteuer gestolpert, das mich weit über meinen Horizont getragen hat. 
Das klingt alles so bilderbuch-poetisch, als würde ich hier ganze Paragraphen aus irgendwelchen Reisewerbeprospekten kopieren. Aber nein, ich schreib' ausschließlich vom Herzen. Das ist wohl die für mich am bedeutsamste Erkenntnis. Dass ich ein Herz habe, das schlägt. Es schlug vorhin, und es schlägt jetzt, und gleich wird es auch noch schlagen.
Und ich habe zwei Augen, die mich die Welt sehen lassen.
Und ich habe zwei Füße, die mich durch die Welt tragen. 
Und ich habe ein Gehirn, das mich die Welt verstehen lässt. 
Ich bin hier, auf dieser Welt, ich bin am Leben, genau jetzt, und das ist so gewollt. 
In Australien bin ich jemand geworden. Jemand, der ich nie geworden wäre in Deutschland. Und jemand, auf den ich stolz sein kann. 


Wisst ihr, mein Auslandsjahr war nicht nur rosig und perfekt und ein Märchen. Es war keinesfalls ein Dauer-Urlaub. Das Jahr ist auch ein harter Kampf gewesen. 

Mir haben die extremen Lebensumstellungen sehr zu Schaffen gemacht, auch, wenn es in meinen Posts nie so den Eindruck danach erweckt hat. Denn die hab' ich geschrieben, wenn ich 'n fröhliches Eichhörnchen gewesen bin. Aber hinter den Kulissen spielt sich viel ab, von dem niemand wirklich was mitbekommt. 
Auch die Rückkehr nach Deutschland war alles andere als einfach. 
Jeder kannte mich noch. Aber niemand kannte mich mehr. 
Man hat nicht nur ein Auslandsjahr im Ausland. Man hat nochmal eins, wenn man wiederkommt.
Es war mir fast schon ein bisschen unheimlich; wie ein Zuhause so vertraut und doch zugleich so fremd sein kann. Der Fakt, dass meine Mutter sämtliche Küchenschränke und Schubladen ausgeräumt und umgeräumt und umgetauscht und neu sortiert hat, hat es mir nicht gerade erleichtert, hehe. Da kannte ich mich besser in einer Küche 14.000 km entfernt aus als in der Küche, in der ich aufgewachsen bin. Hm.
Auch das Angeln nach der korrekten deutschen Formulierung isn't quite as easy as i thought. Letzte Woche habe ich nach langem verzweifelten Raten nach einer passenden deutschen Übersetzung einfach den englischen Satz in meinen Kunsthefter übertragen.
Ja, und meine Eltern mussten auch so einige Male schmunzeln, als ich auf der Suche nach Begriffen wie "Kontostand" oder "Kriminalakte" mit Händen und Füßen um mein Leben artikulieren musste.
Und die Schule? Tja, nach einem Jahr Pappgiraffen basteln und Lion King analysieren hatte ich sichtlich wenig Ahnung weder von Logarithmen, noch von Proteinbiosynthese oder den politischen Taktiken der Großmächte nach der Kapitulation Deutschlands. 
Jetzt, nach fünf Monaten Deutschland, fühle ich mich zwar nicht mehr wie ein Flamingo zwischen Pinguinen, den Zustand der vollkommenen Vollkommenheit habe ich allerdings noch nicht erreicht. Und das wird glaube ich auch immer so bleiben. Irgendetwas wird mir immer fehlen. Jedoch ist das ein schönes Fehlen. Mehr so ein Fehlen, das an die Freiheit erinnert, so wie das Vögelzwitschern an den Frühling erinnert.
Meine kleine Gastschwester hat heute wieder in die Webcam gerufen; Anna i love you so much, i want to play with you, can you come back please?
Und der Plan steht; gleich nach meinem Abi besorg' ich mir gefälschte Papiere, schneid' mir nen Bob, überfall' 'ne Bank, oder fünf, buch' nen Last Minute Flug und here i come, down under! - nein, meine Lieben, ich mach doch nur Witze, ich würd' mir niemals 'nen Bob schneiden! ;)

Das mag vielleicht das Ende meines Auslandsjahres sein - aber es ist erst der Anfang meines Lebens.
Ich werd' doch noch weiter plätschern und noch so viele Pappkartons durch Innenstädte tragen, daran kann ich noch nicht mal im Traum denken. 
Und all die Galeeren, die mich noch stechen werden (oder nicht) - nicht nur portugiesische, vielleicht ja auch mal kanadische Galeeren, oder italienische, oder vielleicht die Chinesischen?
Große Ziele sind das, was uns den Willen gibt, die Treppen hochzulaufen. Und kleine Ziele sind die Stufen, die uns dorthin bringen, wo wir gerne mal sein möchten. 
Und hell yeah, hab' ich große Träume. 
Früher hatte ich Angst, sie zu erzählen. Angst vor Kritik und Zurückweisung. Angst, mich zu offenbaren, was bloß die anderen denken könnten, ach herrje - SCREW THEM. 
Screw them all!
Das ist mein Leben. Ich habe dieses eine Leben, und das lebe ich jetzt. Ich habe im warsten Sinne des Wortes keine Zeit, mich darum zu scheren, was die anderen denken - pff. Sollen se' doch denken. Ich kann sie doch eh nicht aufhalten. Also lass' ich mich auch nicht von ihnen aufhalten.
Vor Australien war ich zwar glücklich, irgendwie, aber zurückblickend sehe ich es heute eher so; ich hatte nichts, worüber ich hätte traurig sein sollen, also war ich eben glücklich. 
Doch ohne mein gewohntes Umfeld, meinen Freundeskreis, meine Familie, mein kleines aber feines norddeutsches Dorf, was macht mich glücklich, wenn alles plötzlich ausgetauscht wird durch etwas so… Fremdes?
Wer bin ich vor einer weißen Wand? 
Was ist Glück überhaupt? Und wer verdient es, glücklich zu sein? 
Die Suche nach dem Glück hat mich allerdings alles andere als glücklich gemacht. 
Also habe ich aufgehört, zu suchen, und habe begonnen, zu vertrauen. In den Lauf des Lebens, auf dass mein Schutzengel auf mich aufpasst und auf dass mein Schicksal es wohl gut mit mir meint. Klingt so naiv - ist aber wirksam.

Verschwende keine Energie, dich über Zustände aufzuregen, die du sowieso nicht beeinflussen kannst. 
Wenn es geschehen ist, lass es gehen. 
Wenn es noch geschieht, lass es auf dich zukommen. 
Und wenn du es ändern kannst, dann sitz nicht rum und jammer', sondern änder' es!

Ich stell' mir gern eine Flamme vor, die in jedem von uns brennt. 

Diese Flamme steht für alles, was wir sind und wofür wir stehen. 
Manche lassen sie lodern, um sich warm zu halten - andere ersticken sie, um nicht Gefahr zu laufen, sich zu verbrennen. 
Wenn ich jetzt zurückblicke auf mein Leben vor Australien, dann denke ich nur, wie ich meine Flamme verschwendet habe. Was ich schon alles hätte erreichen können, hätte ich mich bloß getraut. Hätte ich doch nur, ja hätte ich.
Aber jetzt habe ich. Und jetzt mache ich. Und meine Flamme, die lodert nicht so 'n bisschen. Die setzt ganze Städte in Brand. 
Und wenn ich einen Traum habe, dann bin ich bereit, für diesen Traum zu brennen. 
Diese Flamme kann kein Wasser ersticken. Wenn ich eins bin, dann bin ich zäh. 
Ich sage damit nicht, dass ich alles kann und alles können werde.
Ich bin nicht perfekt. Aber ich will auch nicht perfekt sein. Das perfekte Leben für den perfekten Menschen kann sich mal. 
Ich möchte unperfekt sein. Nicht, weil ich denke, dass ich nicht mehr wert bin.
Unperfekt ist interessant. Unperfekt ist unerwartet und aufregend. Ohne Ecken, Kanten und Kurven läuft man doch immer nur in eine Richtung. 
Ich weiß, dass einen viele Menschen immer liebend gerne verändern würden. Aber ich bin so, wie ich gerne sein möchte. Und wenn das heißt, dass ich mir dreimal im Monat die Haare umfärbe, dann ist das eben so. Und wenn das jemandem nicht gefällt, und er meint, mich deshalb nicht akzeptieren zu können, dann ist das eben auch so. 
Früher hab' ich mir so unglaublich viele Sorgen gemacht, um alles und jeden. Aber ich glaub, ich hab' mir unbewusst 'ne nette Kopie vom australischen 'Easy going' Lifestyle gezogen. 


Aber müssen sich unsere Wege jetzt etwa auch trennen?
Werde ich jetzt einfach von der Bildfläche verschwinden und in Vergessenheit geraten? Bin ich der kleine Gedanke, der hochkommt, wenn ihr gelangweilt durch Facebook scrollt und euch fragt, was eigentlich aus diesem einen Mädchen mit dem Blog geworden ist?…
Ich finde die Vorstellung, ein Gedanke zu sein, in der Grundidee durchaus verlockend, aber herrgott im Himmel doch bitte kein sterbender Gedanke.
Dieser Blog hat zwar seinen Zweck erfüllt, aber Schreiben hat sich dieses Jahr von einer kleinen Idee zur starken Leidenschaft entwickelt, und deshalb wird das hier definitiv NICHT das letzte Mal sein, dass ihr von mir hören werdet, ob ihr wollt oder nicht mwuhahaha *evil laugh*.
Ich hab lange überlegt, ob ich diesen Blog in den Ruhestand schicken möchte und einen neuen zum Leben erwecke. Aber ihr kennt das doch bestimmt mit den ersten Sachen. Das erste Wort. Der erste Zahn. Das erste Fahrrad. Der erste Schultag. Das erste Haustier. Die erste Liebe… der erste Blog.
Wir sind zusammen gewachsen, und auch wenn ich mich schon 16 Jahre lang mit meinen Beinen fortbewege, habe ich dieses Jahr erst richtig laufen gelernt. Mit euch.

Dieser Blog wird sich bald einer Komplettveränderung unterziehen müssen, und wird hoffentlich in derselben Pracht aufblühen wie letztes Jahr.
Bis dahin wünsche ich euch einen hoffentlich warmen Sommeranfang. Und wenn die Sonne schon nicht am Himmel scheint, dann tut mir einen Gefallen und lasst sie wenigstens in euren Augen scheinen.
<3


Ps. Es folgt noch ein Post über alles, was dieses Jahr passiert ist mitsamt unzähligen von Bildern und insklusive meiner Nahtod-Erfahrung auf Rottnest Island und einer detaillierten Schilderung meiner zaghaften Annäherungen der deutschen Kultur hehe ;) 

Und ein fettes DANKE an alle, die seit fünf Monaten von mir enttäuscht wurden - ich sehe eure Kommentare und lese die Emails, es tut mir so Leid. Ab jetzt geht's wieder bergauf! 







3 Kommentare:

  1. Ich habe deinen Blog von Anfang an verfolgt und bin froh, dass du weiter schreibst! :) Deine Texte sind immer so lebendig, und ich kann dich voll und ganz verstehen. In allem, was du schreibst! :)
    Liebst,
    Bente :)

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  2. danke für diesen wundervollen post liebe Anna! Er hat mich echt zum Nachdneken gebracht und mr nur noch mehr verdeutlicht wie sehr ich doch nach meinem Abi nach Australien möchte,obwohl so viele dagegen sind, da es ja "so ein langweiliges und gefährliches Land sei".pah:p von wegen. Musstest du eigentlich auch mt solchen Anfeindungen klarkommen?
    Ich würde mich freuen wenn du diesen Blog hier weiterführen würdest. Ich konnte dich mit dem gedanken 1. hautier 1. Blog etc. so gut nachvollziehen,ich könnte mir ein Leben ohne meinen Blog inzwischen auch nicht mehr vorstellen :D
    Liebste Grüße,Elli
    http://justadreamyday.blogspot.com

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  3. Ich stehe kurz vor meinem Auslandsjahr! Noch zwei Wochen dann bin ich weg! In Australien! und dein Blog hat dazu beigetragen, dass ich jetzt in zwei Wochen ans` andere Ende der Welt gehen werde! Danke dafür! Und auch wenn ich zu blöd bin mir einen eigenen, wunderschönen Blog zu erstellen, bin und werde ich nicht so blöd sein und aufhören deinem zu folgen! DANKE!

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